Ein unerwartetes Glück

Die Anfänge des Hotel Engel

Im Dorf zu bleiben war alles andere als der eigentliche Plan. Ganz im Gegenteil. Als Übersetzerin in Brüssel zu arbeiten, davon träumte Frau Kohler als junges Mädchen, nichts wie raus in die große weite Welt! Doch weil es zweitens immer anders kommt, als man denkt, haben sich Liebe und Berufung dann doch als glückliche Fügung erwiesen. Dass sie jene sein würde, die gemeinsam mit Herrn Kohler eines Tages diesen Traditionsbetrieb leitet, das hätte sich die junge Welschnoferin jedenfalls nie erträumt.

Bis nach Cortina war es noch eine Weltreise

Die ersten Gäste im Eggental waren vor allem Durchreisende. Mit dem Aufkommen des merkantilen Austauschs entlang der Brennerachse gewann die Verbindung von Bozen nach Cortina an Bedeutung. Die beiden Städte waren wichtige Handelszentren in den südlichen Alpen und die kürzeste Verbindung verlief durch das Eggental. Früher stand dort, wo heute die Familie Kohler ihren Gästen ein besonderes Zuhause bietet, ein etwas größerer Bauernhof. Einige Meter weiter unten verlief die Hauptroute: über den Karerpass Richtung Fassatal bis weiter nach Cortina. Die Reisenden benötigten ein Bett, Unterbringung im Stall und eine Mahlzeit. Herr Kohler hatte auf dem Hof Zimmer frei und damit fand – mit der Geburtsstunde im Jahr 1852 – eine lange Tradition ihren Anfang.

Brüssel kann warten

Die Gründungsgeschichte des Hotels kennt auch heute noch jeder im Dorf und als Pionierbetrieb war das Hotel Engel in den 1970er Jahren zu einer festen Institution des Dorfes geworden. Zu dieser Zeit gab es für die junge Frau nur ein Ziel: raus aus dem Tal und raus aus der Provinz und raus überhaupt. Den Ehrgeiz hierfür hatte sie auf jeden Fall von ihrer Mutter geerbt. Sprachen und fremde Kulturen waren ihre Leidenschaft – ein Studium der Rechtswissenschaften, Ökonomie oder gar Medizin kam überhaupt nicht in Frage. Simultandolmetscherin in Brüssel war ein konkretes und realisierbares Ziel. Hierfür würde sich schon ein Weg finden und mit einem kleinen Zubrot sollte im Sommer 1976 für diesen Traum schon mal der finanzielle Grundstein gelegt werden.

Gemeinsam Verantwortung tragen

Bei den Kohlers war in diesem sehr heißen Sommer eine Praktikantenstelle frei. Zum Anpacken gab es viel. In den späten Siebzigern wurden alle Hände gebraucht, denn es waren schwierige Zeiten. Extrem hohe Zinsen und Inflation zwangen viele Hotelbetriebe in die Knie. Der Tradition des Hauses verpflichtet, musste somit die gesamte Familie Kohler mit anpacken, und die frisch eingelernte Hilfskraft war beeindruckt von der positiven Energie, die von diesem Familienbetrieb ausging. Auch sie wollte ihren Beitrag leisten und scheute nicht vor neuen Aufgaben zurück.

Die Sommersaison verflog und trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage war es für das erste Hotel im Dorf ein gutes Jahr. Neue Pläne wurden geschmiedet, und auch die junge Hilfskraft konnte nun nicht mehr loslassen. Der Traum von Brüssel verblasste von Woche zu Woche. Die Leidenschaft für das Hotel hat die ehrgeizige Dame inspiriert und als Junior Chefin konnte sie gemeinsam mit ihrem Mann Tag für Tag viele kleine und große Verbesserungen und Veränderungen umsetzen. Rückblickend kann die ambitionierte Gastgeberin immer noch nicht begreifen, wie sich dieser Traum von Brüssel in so kurzer Zeit in Luft auflösen konnte. Eines hat sie aus der Geschichte des Hotel Engel aber jedenfalls schnell in Erfahrung bringen können: Frauen-Power war in diesem Hause schon immer Tradition und die treibende Kraft gewesen. Diese Tradition hat jetzt auch Frau Kohler mitgeschrieben und auch heute noch ist sie stets fest am Grübeln, welche Baustellen sie als nächstes in Angriff nehmen möchte. Wohl wissend und hoffend, dass hoffentlich irgendwann eine Schwiegertochter an ihrer Seite dieselbe Leidenschaft packen wird. Denn dieser Ort bezaubert – das weiß Frau Kohler aus Erfahrung.
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